Zuvor etwas zur Familie
Mein Großvater Paul Hermann NEUMANN, geboren am
6.7.1889 in Leutmannsdorf ist mit seinen Geschwistern um 1910 ins
Ruhrgebiet nach
Moers-Meerbeck gegangen. Dort begegnete er dann auch meiner Großmutter
Anna
MATTNER,
die mit ihren Geschwistern aus Ottmachau kam. Er stammte aus einer
Weberfamilie, die in
Ober-Leutmannsdorf im Haus Nr. 81 lebte. Mein
Urgroßvater Wilhelm Friedrich NEUMANN geb. 27.12.1857 ist nur 32 Jahre
alt
geworden. So heiratete meine Urgroßmutter Ernestine Louise HEIMANN mit
ihren
fünf kleinen Kindern ein zweites Mal und zwar den Witwer Ernst Wilhelm
Zeisbrich, der sieben kleine Kinder mit in die Ehe brachte. Mein
Ururgroßvater
Friedrich Wilhelm NEUMANN wurde am 13.9.1818 in
Rudolfswaldau Kr.
Waldenburg geboren. Er war mit Anna Rosine SCHUBERT
*19.11.1819 in
Ober-Leutmannsdorf verheiratet, sie hatten elf Kinder.
Leider wird
die weitere Forschung erschwert, da es von 1800 bis 1874
keine Kirchenbücher gibt.
Aus diesem Grund habe ich mit dem Projekt Leutmannsdorf
begonnen. Ich werde alle Daten zu diesem Ort sammeln und in TNG
auswerten. Daraus entsteht ein Ortsfamilienbuch, mit dessen Hilfe es
vielleicht
gelingen wird, diese große Kirchenbuchlücke zu überwinden.
Ich habe es geschafft :))) Das Ortsfamilienbuch (OFB) ist soweit
fertig, dass ich es veröffentlichen konnte. Selbstverständlich
arbeite ich weiter daran. Veröffentlicht ist das
OFB Leutmannsdorf auf den Seiten von Compgen, Verein für
Computergenealogie
http://www.ortsfamilienbuecher.de/leutmannsdorf/
Geschichte des Ortes
1200
1220
1305 1318 1677
1900 1937 | dichter Gebirgswald - die Preseka - dringen deutsche Kolonisten in das Waldgebiet ein, Kunzendorf entsteht 1228, etwas später Arnsdorf und Bögendorf Gründung und Besiedlung durch Ritter Lutzmann erste Erwähnung im Gründungsbuch des Bischofs Heinrich von Würben wird im Zinsregister des Erzpriesters Gabriel von Rimini eine Pfarrkirche angedeutet der Rat von Schweidnitz erwarb Leutmannsdorf und trat dafür Heinrichau ab, Leutmannsdorf wurde Kämmereidorf wird die evangelische Kirche auf der Grundseite und die Schule auf der Bergseite erbaut. Bis dahin wurden die Aufzeichnungen über Heiraten, Taufen und Beerdigungen in den kath. Kirchenbüchern eingetragen. bauten die Katholiken auf der Bergseite eine Schule hatte Leutmannsdorf drei evangelische und eine katholische Schule wurde die Gemeinde Leutmannsdorf aus den Teilen Ober-Leutmannsdorf, Leutmannsdorf-Bergseite, Leutmannsdorf-Grundseite, Klein-Leutmannsdorf, und Groß-Friedrichsfelde gebildet |
Daten + Zahlen
Leuthmannsdorf Berg-Seite, Dorf, Regierung und Ober-Landes-Gericht
Breslau, Landrathsamt Schweidnitz, Süd-Süd.Ost 6/4 Meilen, Post Kreisstadt;
Eigentümer Kämmerei in Schweidnitz. Land- und Stadt-Gericht Schweidnitz. 111
Häuser, 1 Freischoltis., 2 Erbpachtgüter, 1 Lehngut, 1075 Einwohner,
(katholisch 433); 1katholische Mutter-Kirche (Archip. Reichenbach) 1 katholische
Schule, 1 Lehrer, (Schul-Inspect. Schweidnitz-Waldenburg), Patronat für beide Magistrat in Schweidnitz; evangelische Kirche zu Ober-Leuthmannsdorf, 1 Krankenhaus, 3 Brennereien, 1 Sägemühle, 2 Wassermühlen, 1 Windmühle. - hierzu: a) Groß-Friedrichsfeld, eine Kolonie, 30. Häuser, 251 Einwohner,
(katholisch 73); beide Kolonien stossen an den genannten Hauptort an, so wie überhaupt Leuthmannsdorf Berg-Seite, Grund-Seite, Klein- und Oberleuthmannsdorf aneinander hängen. Leuthmannsdorf Grund-Seite, Dorf, Regierung und Ober-Landes-Gericht
Breslau, Landrathsamt Schweidnitz, Süd-Süd.Ost 6/4 Meilen, Post Kreisstadt;
Eigentümer Kämmerei in Schweidnitz. Land- und Stadt-Gericht Schweidnitz. 82
Häuser, 1 Freischoltis., 1 Erbpachtgut, 804 Einwohner, Leuthmannsdorf, Klein-, auch Hundsfeld, Dorf, Regierung und
Ober-Landes-Gericht Breslau, Landrathsamt Schweidnitz, Süd-Süd.Ost 6/4 Meilen,
Post Kreisstadt; Eigentümer Kämmerei in Schweidnitz. Land- und Stadt-Gericht
Schweidnitz. 20 Häuser, 1 Freischoltis., 75 Einwohner, (katholisch 4);
evangelische Kirche zu Ober-Leuthmannsdorf, katholische Kirche zu Leuthmannsdorf
Berg-Seite, Leuthmannsdorf, Ober-, Dorf, Regierung und Ober-Landes-Gericht
Breslau, Landrathsamt Schweidnitz, Süd-Süd.Ost 6/4 Meilen, Post Kreisstadt;
Eigentümer Kämmerei in Schweidnitz. Land- und Stadt-Gericht Schweidnitz. 118
Häuser, 3 Vorwerke, 901 Einwohner, (katholisch 69); aus QuellenTopographische KartenTopographische
Karten 1 : 25 000 Leutmannsdorf von 1883 ----------------------------------------------------------------------- Zivilstandsregister im Standesamt I BerlinStandesamt I in Berlin Geburtsregister Heiratsregister: Sterberegister: -------------------------------------------------------------------------- Verfilmte Kirchenbücher und Zivilstandsregister durch die MormonenKatholische Kirche Leutmannsdorf
(Kr. Schweidnitz) Zivilstandsregister, 1874-1888 --------------------------------------------------------------------------- Bundesarchiv Bayreuth – Lastenausgleichsarchiv
Fragebogen- und Erlebnisberichte zur Vertreibung |
Der Amtsbezirk Leutmannsdorf (ca. 1886)
Leutmannsdorf ist ein langes, von Südwesten nach Nordosten sich hinziehendes Dorf, das etwa 11 Kilometer südöstlich von Schweidnitz entfernt liegt und aus Ober-Leutmannsdorf, L. Bergseite und L. Grundseite und Nieder-Leutmannsdorf besteht. Jeder Anteil bildet eine Gemeinde für sich. Die Zahl der Bewohner des ganzen Dorfes, von denen ein großer Teil durch Baumwollenweberei sich den oft kärglichen Lebensunterhalt erwirbt, beläuft sich auf 4228. Der Ort wird seiner ganzen Länge nach von dem Leutmannsdorfer Wasser durchflossen. Im Dorfe befinden sich 9 Wassermühlen, darunter 4 Sägemühlen. Außerhalb desselben liegen 2 Förstereien, 2 Ziegeleien, die Walkmühle und die der Stadt Schweidnitz gehörige Brettschneidemühle am Milmichbache. Diese Mühle hat das größte Wasserrad Schlesiens mit 11,25 m Durchmesser.
Die katholische Pfarrkirche auf der Bergseite ist in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts von den Gebrüdern Christian und Heinrich Atze auf Stoschendorf, Kr. Reichenbach und Pezold v. Betschow auf Ruppersdorf, Kr. Jauer gestiftet und 1348 dotiert worden. Erstere besaßen hier die Bergseite, letzterer die Grundseite. Die evangelische Kirche auf der Grundseite wurde 1742 erbaut. Leutmannsdorf hat 3 evangelische Schulen und 1 katholische; letztere zählt 2 Lehrer und 127 Kinder. In den evangelischen Schulen unterrichten 6 Lehrer ungefähr 700 Kinder.
Leutmannsdorf hat seinen Namen von seinem Erbauer und ersten Grundherrn, dem tapferen Ritter Luzmann, der im Jahre 1241 an der Schlacht bei Wahlstatt gegen die Tartaren teilnahm. Das Dorf bestand früher aus 3 Anteilen: Bergseite, Grundseite und Klein-Leutmannsdorf und hatte 3 Vorwerke: Grundhof, Niederhof und Friedrichshof. 1672 besaß sämtliche Anteile Ernst Gottfried von Berg und Wernersdorf. Der Vormund aber von dessen unmündigen Kindern, George Siegemund von Tschirnhaus vertauschte 1677 alle Anteile von Leutmannsdorf an den Magistrat zu Schweidnitz gegen das Dorf Heinrichau im Kreise Waldenburg. Im Jahre 1800 wurden die 3 Vorwerke als freie bürgerliche Erb-Lehn-Zinsgüter verkauft und die Stadt behielt nur den etwa 2500 Morgen großen Wald, den sie heute noch besitzt.
In der Nähe der sogenannten Totenbuche steht im Walde ein aus rotem Sandstein gefertigter, etwa 1 Meter hoher Denkstein mit 2 gekreuzten Schwertern und der Inschrift: "Den 22. Juli 1762" als Erinnerungszeichen an die hier beerdigten Kroaten, die am Tage zuvor, als der preußische General v. Wied die Höhen bei Leutmannsdorf erstürmte, gefallen waren. Ein anderes Monument aus Sandstein, das Wilhelms-Denkmal, befindet sich auf dem Tartschenberge oder der Wilhelmshöhe. Dasselbe wurde im Jahre 1862 von den Gutsbesitzer Gottlob Langer'schen Eheleuten gestiftet zur Erinnerung an die am 14. Juli 1861 erfolgte glückliche Errettung Sr. Majestät des Königs Wilhelm aus Todesgefahr. Das Denkmal kostet ungefähr 15.000 Mark.
Groß-Friedrichsfeld wurde im Jahre 1800 auf den Feldern des Friedrichshofes, der sogenannten Schafwiese angelegt und hat 279 Einwohner, die sich größtenteils mit Barchendweberei beschäftigen. Die evangelische Schule mit 1 Lehrer zählt 48 Kinder.
Die Kolonie Klein-Friedrichsfeld entstand bald nach der Gründung des vorgenannten Ortes auch auf den Feldern des Friedrichshofes. Die Einwohnerzahl derselben beträgt 289.
Klein-Leutmannsdorf, gewöhnlich Hundsfeld
genannt, hat 93 Einwohner. Der Ort wurde im 30jährigen Krieg vollständig
verwüstet und erst 1698 wieder aufgebaut.
Quelle: Eduard Gröger, Der Kreis Schweidnitz nach seinen physikalischen, statistischen und topographischen Verhältnissen
Nachname
Adelt | Vorname
Berta | Beruf
Rentenempfgrn. | Haus-Nr.36 | OrtsnameOber-Leutmannsdorf |
Erlebnisbericht
Ingrid Lehnert Meine Reise in die Vergangenheit meines Vaters, in meine „Wurzel-Heimat“ Leutmannsdorf (heute : Lutomia ) Sonntag, 27.04.08 Während meines Besuches bei einer lieben Freundin in Cottbus wurde mir bewusst, wie nahe der Geburtstort meines Vaters Leutmannsdorf ist (Entfernung nur 144 km). Spontan entschloss ich mich diese Chance zu ergreifen und zu schauen, wo meine Wurzeln liegen. Dank Google.de fand ich schnell eine schöne Homepage zu Leutmannsdorf eingerichtet von Frau Monika Nicolaus <www.monika-nicolaus.de> und auf dieser die Adresse meines Großvaters im Jahre 1929, der erst 1945 Schlesien verließ. Bis 1945 wohnte er laut Adressbuch von 1929 in Leutmannsdorf Grundseite 52 (heute: Lutomia Dolna, 257 – 260 m ü.M.). Eine mir bekannte Polin in Cottbus organisierte mir über das Internet: info@pokoje.swidnica.pl zwei Adressen in der Nähe von Leutmannsdorf, die nicht so teuer sind. (Leider gibt es angeblich keine Pension in Leutmannsdorf selbst.) Einmal eine Pension in 58-100 – Swidnica (Schweidnitz): Danuta Matuszyk, ul. Bobrzanska 39, Tel. 0048 – 74 – 853 – 64 –23, mobil: 0048 – (0) 660-05 78 58. Ich entschied mich für die Familie Grabczynski Zbigniew in 58-203 Moscisko; ul. Kolejowa 25; Tel. 0048 – 74 –8329014; einem Nachbardorf von Lutomia, da ich kein Auto besitze und auf keinen Fall in der Stadt wohnen wollte. Der Kauf der Zugfahrkarte gestaltete sich schwieriger: eine Fahrkarte nach Legnica (ehemals Lignitz) war schnell gekauft, aber nicht nach Moscisko. Und da ich annahm, man könne im Sinne der EU mit Euro bezahlen, sah ich vor meiner Abreise keine Veranlassung Zlotys „einzukaufen“, was sich als Fehler erwies. Deshalb hier der Hinweis: bei der polnischen Bahn ist der Euro noch nicht erwünscht. Nun sitze ich hier im Zug, höre Polnisch, was ich überhaupt nicht verstehe, und steuere Zagan an (Ankunft mit dem EC 240 planmäßig 12:53 Uhr), der letzte Halt vor meinem Ausstieg in Legnica um 14:14 Uhr. Eine Einstimmung auf meine bevorstehenden Erlebisse erfahre ich im Zug mit einem sehr lieben amerikanischen Ehepaar aus New-York Country, die in Krakow ihren Sohn besuchen, der dort verheiratet ist. In Legnica scheint sich eine Katastrophe anzubahnen: keiner spricht Deutsch oder Englisch. Aber wie soll ich ohne Zloty und Fahrkarte nach Moscisko kommen??? Ich gehe auf ein Taxi zu; mit ratlosem Gesicht und Hilflosigkeit ausdrückenden, ausgebreiteten Armen sage ich nur zu dem Taxifahrer: „Zloty! Kantor?“ Es ist rührend, wie er um deutsche Vokabeln ringt, packt meinen Koffer in seinen Kofferraum, setzt mich auf seinen Rücksitz und fährt mich zu „Kantor!“ (=Wechselstube). Während der Fahrt sehe ich plötzlich ein kleines weißes Niki-Schaf (einen Schlüsselanhänger) an seinem Autoinnenspiegel hängen mit einem kleinen, roten, aufgenähten Herzen. Verdutzt zeige ich auf sein Schaf und auf meinen kleinen schwarzen Niki-Schafanhänger ebenfalls mit einem Herzchen. Der Taxifahrer stellt mir seines vor: “Gertrud!“ Ich antworte mit meinem: “Helga!“ und die Distanz ist aufgehoben. Stolz „erzählt“ er mir von seinem Großvater, der in Berlin-Spandau geboren ist. Wie klein und menschlich doch die Welt ist, denke ich mir: Sein Großvater hat in Polen / Schlesien seine Familie gegründet und ich suche den Geburtsort meines Vaters und das Haus meines Großvaters. Zwei kleine Stoffschäfchen, die zwei Nationalitäten verbinden. Ich bin gerührt. Zu meiner Verwunderung hält „mein“ Taxi vor einem großen Real-Kaufmarkt (!) und der Fahrer nimmt meine 3 x 50,- Euro-Scheine, lässt mich mit steckendem Autoschlüssel und seinem Handy allein und verschwindet in dem Supermarkt. Ich denke mir:“ Nur die Ruhe! Er riskiert mehr als ich.“ Nach einer Weile kommt er zurück, reicht mir gewissenhaft eine Quittung und einen Stapel Zloty und Münzen, fährt mich zurück zum Bahnhof und setzt mir den Rucksack auf. Ich spüre, wie mich seine guten Gedanken begleiten. Auch die Mitreisenden auf dem Bahnsteig und der Schaffner bemühen so gut es geht ihre spärlichen deutschen Vokabeln um mir zu helfen. Ich bin dankbar; fühle mich behütet. Wir fahren durch Jaworzyna … = schöne alte Gebäude und viele alte Dampflokomotiven beinahe wie in einem Freilichtmuseum; schöne Landschaft, viel Landwirtschaft. Mir fallen die häufig wiederholten Worte meines Vaters ein: „Schlesien war vor dem Krieg die Kornkammer Deutschlands!“ Jetzt wo ich die fruchtbaren Felder und Äcker sehe, kann ich es nachvollziehen. 17:00 Uhr –Ich fahre mit dem Zug in den Bahnhof von Schweidnitz (Swednica) ein und fühle mich wie in einer Zeitreise: hier in der ehemaligen Kreisstadt hatte mein Vater die Berufsschule besucht. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte auch mein Großvater hier eine Zeit lang gearbeitet. 21:15 Uhr –Der erste Abend in Moscisko, ca. 1000 Einwohner (ehemals: Zgnily Most = Faul Brück) Oh Gott, nach nur wenigen Stunden weiß ich, warum mein Vater seine Heimat trotz seines Heimwehs nicht wieder sehen wollte. Die polnische Bevölkerung zeigt mir zwei extreme Seiten: Einerseits gibt es einige gutmütige und sehr hilfsbereite und liebenswürdige Menschen: Gleich nach meiner Ankunft „fragte“ ich einen Autofahrer nach „meiner“ Pension, indem ich ihm die Adresse zeigte. Er ließ einfach sein Auto mit Schlüssel im Zündschloss und offen stehender Tür stehen und ging mit mir zu der wenige Meter entfernten Pension. -Lieb! – Dann traf ich Szczepan (Stefan), ein lieber Mensch, der mit dem Pfarrer von Lutomia befreundet ist. Er empfiehlt mir den Pfarrer Bogdan Deren aufzusuchen. Er sei ein sehr guter Mensch und den deutschen Heimatsuchenden gegenüber recht hilfsbereit. Manchmal organisiert er sogar für die deutschen Besucher Betten in privaten Häusern. Szczepan spricht ziemlich gut Deutsch. Im einzigen Lebensmittelgeschäft in Moscisko (So 8 – 20 Uhr und Mo-Sa 6 – 22 Uhr geöffnet) fand man bald eine Nachbarin unter der Kundschaft, die gelegentlich in Deutschland als Saisonarbeiterin tätig ist : Katharina (=Kascha) half mir lieb und geduldig. Sie bedauerte, dass sie am übernächsten Tag zum Spargelstechen nach Deutschland fährt, ansonsten hätte sie mir gerne geholfen nach Lutomia (Leutmannnsdorf) zu kommen, da es weder Busverkehr noch Taxis gibt. Das ist wohl das Wichtigste hier auf dem Land: mit einem Auto ist man hier wesentlich flexibler. Andererseits lernt man in seiner Hilfebedürftigkeit so manchen lieben Menschen kennen. Ein alter Mann (leider stark angetrunken) kam neugierig und erkundigte sich nach meinem Anliegen, wollte gerne helfen, ganz ungefragt. (Ich finde es traurig, wie viele stark Angetrunkene das Dorfbild von Moscisko prägen in der Gegenwart einiger Kinder und Jugendlicher.) Auf dem Heimweg bedrohte mich ein aggressiver Hund auf der Straße, dem ich nicht ausweichen konnte und vor dem ich Angst hatte. Überhaupt gibt es auffallend viele sehr laut kläffende Hofhunde in diesem Dorf. Obwohl ich Hunde eigentlich liebe, schien mir dieser giftige Zottel-Mischling doch etwas zu aggressiv. In meiner Not „sprach“ ich ein Ehepaar an, das in seiner Haustür stand um die Abendluft und die wunderschöne Baumblütenpracht in ihrem Garten zu genießen. Nur zwei oder drei unverständliche Worte meinerseits an den Hausherrn und schon kam er an`s Gartentor. Ich versuchte mit wenigen polnischen Vokabeln, Mimik und Gestik ihm klar zu machen, dass ich vor diesem speziellen Hund Angst habe und mich nicht in die Pension traue. Ohne zu zögern begleitete mich seine Gattin auf der Straße an dem Hund vorbei. Nachdem er noch einmal hinter mir herlaufen wollte, kam auch die Mutter oder Schwiegermutter hinzu, die den Hund auf Polnisch beschimpfte, er solle mich in Ruhe lassen und weglaufen, was er dann auch tat. –So viel Liebes!- Was die Pension anbelangt, so hat sie sicherlich zwei große Vorteile: 1. sie ist die einzige weit und breit; sie bieten zwei Zimmer mit bis zu 5 Betten für jeweils 60,- Zloty pro Nacht ohne Frühstück; 2. liegt sie nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt. Die Hausdame spricht zwei Worte Deutsch: “Guten Morgen!“ und kein Wort Englisch. Gott sei Dank, habe ich in Cottbus eine liebe Bekannte, die jeden Abend angerufen hat um das Wichtigste für mich zu übersetzen. Bin ich zu pingelig oder zu anspruchsvoll? Ich kann es nicht objektiv beurteilen, aber die Sauberkeit im Zimmer entsprach nicht meinen Vorstellungen. Nach Betreten des Apartments habe ich erst `mal ca. 1 Stunde geputzt. Schade, das Zimmer ist recht hübsch, aber wirklich empfehlen kann ich es nicht, da es für meine Begriffe an Sauberkeit mangelt. Ich hoffe, dass ich morgen den Pfarrer Bogdan D. kennen lerne. Ich bin ja so gespannt auf LEUTMANNSDORF!! Die Fahrt war aufregend und anstrengend. Unzählige Eindrücke. Wenn ich bis jetzt alles Positive und Negative abwiege, dann muss ich sagen: es überwiegt das Positive. Die Landschaft ist lieblich, weiche Hügel am Horizont und unzählige liebe, hilfsbereite Menschen, die mich nicht als Feindin oder Eindringling betrachten, sondern als ungewöhnliche aber hilfebedürftige Person, die ihre Wurzeln sucht. Ich bin so dankbar hier sein zu dürfen. Aber es war wohl doch gut, dass mein Vater seinem Heimweh nicht nachgegeben hat und hierher kam. Mein Vater war ein sehr fleißiger, ordentlicher und die Sauberkeit schätzender Mensch. Ganz sicher wäre er erschüttert gewesen über die vielen halb bis ganz vor sich hin verfallenden Häuser. Es braucht schon –trotz aller Gastfreundschaft- eine gehörige Portion Toleranz dazu, die gewohnten Bilder aus der Vergangenheit zu vergessen und die ganz andere Lebensweise der jetzigen Hausbewohner zu akzeptieren. Trotzdem bin ich sehr froh hier zu sein (für mich ist es auch wesentlich leichter Toleranz zu üben, da ich nicht auf Erinnerungen zurückgreifen kann). Ich bemühe mich ganz besonders die schönen Wiesen und Weiden und die wunderbare Blütenpracht auf den Bäumen und in den Gärten zu genießen. Mal sehen, wie ich Leutmannsdorf erleben werde!?
–Gute Nacht !-
Montag, 28.04.08 - 07:00 Uhr Ein neuer Tag beginnt nach einer Nacht voller intensiver Träume; die Eindrücke gestern waren wohl ein bisschen viel. Mir geht der etwa 16jährige Junge von gestern Abend in dem Lebensmittelgeschäft nicht mehr aus dem Kopf. Er war so fasziniert von „der fremden Frau“, suchte ständig meine Nähe und meinen Blickkontakt. Eine sanfte, weiche Seele. Ich hatte das Gefühl, als würden wir uns schon lange kennen. Meine bisherigen Erkenntnisse in wenige Worte gefasst:
1. Man braucht unbedingt vor Antritt der Reise Zloty 2. Es ist extrem schwierig, ja fast unmöglich ohne Dolmetscher zu recht zu kommen. Viel zu wenige Polen auf dem Land sprechen Deutsch oder gar Englisch. 2. Es ist extrem schwierig, ja fast unmöglich, ohne Dolmetscher zu Recht zu kommen. Viel zu wenige Polen auf dem Land sprechen Deutsch oder gar Englisch. 3. Ich würde jedem Heimatbesucher empfehlen in einer geführten, kleinen Reisegesellschaft mit einem Dolmetscher zu fahren. 4. Ohne Auto oder Bus ist es äußerst anstrengend und beschwerlich hier. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Moscisko einen Bahnhof hat. Das ist auf den Dörfern extrem selten. 5. Man muss typisch „deutsche“ Sauberkeitsvorstellungen in Deutschland zurücklassen.
So schmerzvoll es auch sein mag: Tatsache ist: durch einen furchtbaren Krieg haben wir unsere Heimat verloren. Die jetzigen Bewohner tragen dafür keine Schuld und keine Verantwortung. Sicher haben sie andere Prioritäten und eine ganz andere Vorstellung von Sauberkeit und opt. Schönheit (obwohl es auch eine Menge schöner, kleiner, neuer Häuschen gibt). Schlesien ist jetzt ihr Zuhause und bleibt doch unsere „Wurzelheimat“. Das zu akzeptieren macht Frieden möglich, verbindet Menschen und öffnet Herzen.
16:15 Uhr - Zurück in „meinem“ Zimmer - Ein unbeschreiblicher, facettenreicher Tag liegt hinter mir. Am Verhalten der Menschen mir gegenüber kann man nicht nur ihren Charakter erkennen sondern auch ihre bereits gemachten Erfahrungen mit Deutschen, die hier ihre Heimat besuchten. Mein Tag war angefüllt mit aneinander gereihten „Wundern“: Ich hatte mir vorgenommen die wenigen Kilometer von Moscisko nach Leutmannsdorf zu wandern. Das Wetter war wunderschön, die Sonne schien, überall die herrlich blühenden Obstbäume. Auch war es mir wichtig ganz bewusst stellvertretend für meinen Vater und meinen Großvater Leutmannsdorf zu „betreten“ um den Kreis zu schließen und damit Frieden mit der Flucht und dem Verlust der Heimat. Ich genoss die weichen, lieblichen Hügel des Eulengebirges (zwischen 520 bis 667 m ü.M.) im Hintergrund. Am Straßenrand unzählige Löwenzahnblüten. Ich denke für mich: der Löwenzahn kennt keine Verständigungsprobleme.
Alles hat natürlich auch seine Schattenseite. So auch mein besinnlicher Spaziergang. Immer wieder überholten mich überwiegend junge Autofahrer, die sich und ihr wichtigstes Prestigeobjekt, das Auto, mit viel zu hoher Geschwindigkeit produzierten, wobei es interessanterweise hauptsächlich deutsche Autos sind; ab und zu sieht man auch mal einen „Franzosen“. Ich frage mich dann immer, warum haben die Polen nicht den Ehrgeiz selber polnische Autos mit diesem Niveau zu bauen? Wer weiß die Antwort?
Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich mich umdrehen sollte. In diesem Moment hielt ein kleines, bescheidenes Auto neben mir und der Fahrer fragte mich auf Polnisch, wo ich hin wolle und ob er mich mitnehmen kann. Ich „fragte“: “Lutomia?“ Er antwortete: „Tak, tak.“ und wies mich an in sein Auto einzusteigen. Auf dem Rücksitz lag ein riesiger, liebevoller Trauerkranz. Ich dachte nur: Na, das passt ja, wo ich doch meine Vorfahren zumindest geistig in Leutmannsdorf beerdigen will. Ich kann nicht erklären warum, aber obwohl er kein Wort Deutsch oder Englisch sprach und ich maximal 20 polnische Vokabeln beherrsche, haben wir uns „unterhalten“. Er war auf dem Weg zum Friedhof und zum Pfarrer Bogdan D. von Lutomia um seinen Vater zu beerdigen. Der Sohn war sehr traurig über dessen Tod. Ich musste sofort weinen, weil ich darin eine Art Schicksal und Symbolik sah für meinen verstorbenen Vater und Großvater. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich nicht umsonst in diesem Auto saß mit einem Trauerkranz für einen Vater auf dem Rücksitz. Natürlich konnte ich dem guten Mann nicht erklären, warum ich weinen musste, dazu reichten meine 20 Vokabeln nicht aus. Aber er tätschelte liebevoll meine Hand und tröstete mich auf Polnisch mit einer ganz lieben, Anteil nehmenden Stimme. Plötzlich sagte er auf Polnisch: “ Weine nicht! Mein Vater ist gestorben nicht deiner. Sei nicht traurig!“
TRAUER VERBINDET MENSCHEN; ANTEILNAHME KOMMT VOM HERZEN NICHT VON DEN WORTEN!
Die Situation war kurios: Ich verstand plötzlich Polnisch, obwohl ich es nicht beherrsche, und er tröstete mich, obwohl er der Trauernde war. Er freute sich mich zum Pfarrer Bogdan D. zu führen, damit dieser mir helfen könnte mein Vaterhaus zu finden. Der Pfarrer war wirklich im Stress, da er die Beerdigung vorbereiten musste. Trotzdem ging er mit mir in sein Büro und suchte seine alten Straßen- und Häuserpläne, in denen die Häuser aus der Zeit vor 1945 eingezeichnet waren allerdings ohne Hausnummern. - Bedauerlicherweise !!! - Wir suchten und suchten ohne Erfolg, bis mir schließlich einfiel, dass in diesen Plänen nur die Hausbesitzer eingetragen waren und nicht die Mieter wie z.B. meine Großeltern und mein Vater.
Endlich fiel dem Pfarrer ein, dass es noch einen alten „Einheimischen“ gibt, Stefan F., der zumindest ein Nachbar von meinen Großeltern gewesen sein muss im unteren Leutmannsdorf – Lutomia-Dolna. Der Herr Pfarrer erklärte mir den Weg zu diesem Leutmannsdorfer, aber da das Haus auf dem Weg nach Moscisko liegt und ich zuvor die ev. Kirche, zu der meine Familie gehörte, besuchen wollte, ging ich zunächst in die entgegen gesetzte Richtung nach Lutomia-Gorna (461 m ü.M.) genannt Oberes Leutmannsdorf. Erst war ich überglücklich, als ich nach einem langen Weg endlich von Weitem die Kirchturmspitze erblickte, welche aussieht wie eine riesige Krone. (Dazu muss man wissen, dass sich das Dorf einige Kilometer lang entlang eines quirligen Baches erstreckt.) An der „Kirche“ angekommen, musste ich leider feststellen, dass nur noch der beschädigte Turm als Ruine steht, alles andere: das Kirchenschiff, der ev. Friedhof, auf dem ich nach verstorbenen Angehörigen suchen wollte… , alles ist zerstört. Von dem Kirchenschiff steht nur ein ganz kleiner Mauerrest. Dieser Anblick machte mich sehr traurig. Wieder dachte ich für mich: Gut, dass mein Vater DAS nicht mehr sehen musste. Andererseits kann ich auch die Bevölkerung verstehen: wenn man praktisch 100% kath. Bürger im 2500 Seelendorf hat und wenig Geld, dann investiert man natürlich in die Kirche, die auch genutzt wird. Die alte katholische Kirche ist liebevoll gestaltet und geschmückt. Wie ich später erfahren habe, wird die Kirche einzig von den gläubigen Gemeindemitgliedern finanziert und renoviert.
Gleich hinter dem ev. Kirchturm endet Lutomia-Gorna. Die 12 km bis Swidnica – Schweidnitz können bequem mit dem Autobus geschafft werden (Abfahrt ab ev. Kirchturm z.B. um 13:10 Uhr). Mehrere Haltestellen verteilen sich auf das ca.11 km lang gestreckte Dorf, das sich an das Leutmannswasser, einem schönen Bach anschmiegt. Auf einer EU-Freizeitkarte im „Zentrum“ nahe der kath. Kirche fand ich sogar den kleinen Weiher- die Badeanstalt, auf die mein Vater immer ganz besonders stolz gewesen war. Leider gibt es dort im Moment kein Wasser. Na ja, wer will schon im April schwimmen gehen!?
Als ich zurückkam, zog es mich irgendwie noch einmal zur kath. Kirche hin, die auf einem kleinen Hügel in der Mitte zwischen Lutomia-Gorna und Lutomia-Dolna steht. Der geteerte Fußweg ist mit schönen, alten, dicken Bäumen gesäumt wie eine kleine Allee. Es war ein prickelndes Gefühl zu wissen, dass diese Bäume bereits meine Vorfahren gesehen hatten.
Übrigens habe ich zwar leider keine Unterkunft / Pension in Lutomia für Besucher gefunden, da zu der Zeit viele Polen wegen des verlängerten Wochenendes hier zu Besuch waren, dafür aber eine Arztpraxis, fünf Lebensmittelgeschäfte, eine Apotheke, eine Poststation, ein Gymnasium und eine Bar, wo man etwas essen kann.
Seltsamerweise gibt es in Lutomia keinen einzigen Bäcker, obwohl das Brot im Laden nicht so gut schmeckt. Leider fand ich auch keine einzige Ansichtskarte von Lutomia, die ich gerne verschickt hätte. Schade! Allerdings existiert immer noch die Streichholzfabrik in Pieszyce, in der damals meine Großmutter gearbeitet hat. Unglaublich !
Nun zurück zur Kirche: wie gesagt zog es mich in das Gotteshaus, in dem der Gottesdienst für den Vater meines „Chauffeurs“ abgehalten wurde. Ich verstand zwar von dem gesamten Gottesdienst maximal 3 Wörter, aber mir fiel auf, mit welcher Herzlichkeit und Menschlichkeit der Pfarrer sprach. Beinahe wie mit schutzbedürftigen Kindern. Ich war sehr gerührt, man konnte merken, mit welcher Güte und Barmherzigkeit er seine „Schäfchen“ führt. Die Lieder, von einem blinden Organisten vorgesungen, waren ebenfalls besonders herzlich. Es war der erste polnische Gottesdienst, den ich miterleben durfte. Komischerweise musste ich währenddessen ganz viel an unseren letzten Papst Johannes Paul II. denken, wohl weil der Pfarrer von Lutomia mich stark an ihn erinnerte. Ich hätte nie geglaubt, dass diese Sprache mit den vielen „tsch-tsch-Lauten“ so weich klingen kann. Beim Abendmahl wollte ich mich rausschleichen, aber kurze Zeit später „erwischte“ mich der Pfarrer und wies mich an ihm zu folgen, da „zufällig“ der Stefan F. an der Beerdigung teilnahm, der mir weiterhelfen sollte. Dieser wiederum war sofort bereit mit mir zu dem Haus in seiner Nachbarschaft zu gehen, von dem er vermutete, dass es das Geburtshaus meines Vaters war. „Dummerweise“ wurden in den vergangenen 63 Jahren die Hausnummern geändert, aber ihm fiel ein, dass vor zwei Jahren (2006) eine Frau mit ihrem Sohn hier zu Besuch war, die in diesem Haus gelebt hatte zu der Zeit, als mein Vater ein Kind war; und mit der Stefan F. Schwester im Briefkontakt steht. Jetzt hoffe ich natürlich von Herzen, dass ich diese Frau aus Deutschland finde. Vielleicht auch über die Leutmannsdorf-Homepage !? Mal sehen.
Dann bot Stefan F. sich an mich in das nahe gelegene Krzyzowa – Kreisau zu fahren zu einer phantastischen, niederschlesischen Begegnungsstätte für den Austausch zwischen Polen und Deutschland.
Zur Unterstützung dieser Arbeit gibt es eine Stiftung:
Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung mdsm@Krzyzowa.org.pl. Krzyzowa 7 58-112 – Grodziszcze , Polska Tel.: 0048 – 74 85 00 300 www.Krzyzowa.org.pl
Klasse ! Friedensaufbau auf hohem Niveau ! Sie arbeiten zusammen mit verschiedenen deutschen Institutionen u.a. Schulen, Begegnungsstätten, Vereinen etc. …
Zu dieser Begegnungsstätte gehört auch ein Hotel: Tel.: 0048 – 74 85 00 200
Zwar habe ich die Hotelzimmer nicht gesehen, aber die gesamte Anlage ist so phantastisch sauber und gepflegt, so dass ich davon ausgehe, dass auch das Hotel ansprechend ist.
Dieser ehemalige Gutshof des Grafen von Moltke liegt harmonisch eingebettet in ein altes, kleines Dorf in der schönen Landschaft mit Blick auf das Eulengebirge.
Anschließend fuhr mich der Leutmannsdorfer nach Swidnica, da ich unbedingt noch Zloty brauchte. Das muss man wissen: Geld öffnet bei den meisten Polen ganz besonders die „Herzen“. Auf jeden Fall wird die Hilfsbereitschaft dadurch wesentlich verstärkt.
Nebenbei bemerkt fiel mir auf, dass die Atmosphäre und die Bevölkerung von Moscisko und Lutomia sich erheblich von einander unterscheiden, obwohl nur 3-4 km Distanz dazwischen liegen. Von Herrn F. erfuhr ich, dass die Bewohner aus Moscisko überwiegend Vertriebene aus der Ukraine waren, wo hingegen nach Lutomia hauptsächlich Oberschlesier ausgewandert waren bzw. vertrieben wurden. Interessant!
Ich habe heute wieder so viel erlebt, gesehen und einen ganzen 36er Film „verknipst“, wie mein Vater sagen würde.
Früher hatte Lutomia fünf Mühlen, die frisches Mehl mahlten. Heute gibt es keine einzige, zumindest laut Herrn F. Ich verstehe diese Agrarpolitik ehrlich gesagt nicht, da mir bestätigt wurde, dass praktisch alles privatisiert ist. Jeder hätte theoretisch die Möglichkeit die vielen Marktlücken hier zu schließen. Und wenn ich die noblen, teuren, deutschen Autos sehe, die hier rumfahren, und die teilweise exklusiven Villen, die die Orte verschönern, dann sieht man, dass Geld für einen gewissen Aufschwung da wäre. Na ja, vielleicht denke ich zu lösungsorientiert?
Auf jeden Fall wird mir täglich bewusst, wie bunt und vielfältig die Bevölkerung hier ist. Es gibt nicht die Polen, zumindest nicht hier vor dem Eulengebirge. Es wirkt eher wie ein Schmelztiegel, in dem viele verschiedene „Typen“ und Mentalitäten eingeflossen sind.
Ein weiterer Tipp für Angehörige / Interessierte, die Lutomia besuchen möchten: Tipp Nr. 6: Insbesondere für Lebensmittelallergiker oder Vegetarier bzw. Menschen, die auf biologisch-vollwertige Nahrung achten: Nehmen Sie genügend Lebensmittel von zu Hause mit !!! Das Angebot hier ist nicht nur sehr begrenzt, sondern entspricht zudem nicht unseren deutschen Normen. Katharina, die junge Frau aus Moscisko, die regelmäßig als Saisonarbeiterin nach Deutschland fährt, sagte: “Am meisten freue ich mich auf das Brot. In Deutschland gibt es sooooo gutes Brot!“
Ich will morgen noch einmal nach Leutmannsdorf wandern, um das eventuelle Elternhaus meines Vaters zu fotographieren und die neue Hausnummer aufzuschreiben. Mal sehen, welche Erfahrungen auf mich warten. -spannend, aufregend, ergreifend!
Dienstag, 29.04.08 – 5:52 Uhr Ein neuer Tag in der ehemaligen, irdischen Heimat meines Vaters, Großvaters und meiner Großmutter. Wenn man nicht mehr so jung und gesund und damit weniger anpassungsfähig ist wie ich, ist die Reise besonders ohne Auto recht beschwerlich.
11:30 Uhr Ich sitze auf dem kath. Friedhof an dem Grab des Vaters, dessen Sohn mich gestern in seinem Auto nach Lutomia mitgenommen hat. Noch ein „Wunder“: statt eines Kreuzes wie auf allen anderen Gräbern ist auf seinem Grabstein das Bild vom barmherzigen Jesus der Schwester Faustina eingemeißelt, welches ich ebenfalls verehre. (www.misterium.eu) Ich bin wieder einmal gerührt: es zeigt mir, dass ich gestern tatsächlich im „richtigen“ Auto saß.
Seit 9:05 Uhr bin ich unterwegs. Mit ganz wachem und offenem Herzen ging ich durch das Dorf, aber ich konnte das Geburtshaus meines Vaters wieder nicht finden. Wen kann ich bitten, dass er / sie mich dorthin führt???
19:00 Uhr – zurück in „ meinem“ Zimmer – Was für ein Tag !? - Höhen und Tiefen wechselten sich ab. Heute bin ich die gesamte Strecke nach Lutomia gegangen bis zur kath. Kirche. Während ich das Dorf betrat mit den schönen Hügeln im Hintergrund (zwischen 520 bis 667 m ü.M.), überall die blühende Pracht der Gärten… wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, warum mein Vater diesen Ort liebte und wie schwer es für ihn gewesen sein muss, diesen zu verlassen mit dem Blick in eine ungewisse Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass niemand diesen Verlust, diesen Schmerz wirklich begreifen kann, der ihn nicht selbst durchlebt hat. Leutmannsdorf muss wirklich ein sehr schönes, stolzes Dorf gewesen sein.
Ganz langsam schlenderte ich durch die einzige Hauptstraße, in der Hoffnung irgendwie einen Hinweis zu erhalten, welches der alten Häuser das Geburtshaus meines Vaters gewesen ist.
Lange hielt ich mich auf dem kath. Friedhof innerhalb der Kirchenmauern auf. Dieser Ort ist so friedlich, so schön und liebevoll gepflegt. Leider war heute die Kirche nicht geöffnet. Ich betete um die göttliche Führung, wie ich das Geburtshaus meines Vaters finden könne. Mir fehlen einfach mehr Informationen.
Auf dem Rückweg nach Moscisko entdeckte ich einen weiteren Ortsteil von Lutomia: Lutomia-Mala. Über diese Straße (R 9) gelangt man leicht durch Wiesen und Felder nach Kreisau zu dem Deutsch-Polnischen Institut (ca. 5 km).
Irgendwie schon enttäuscht und frustriert ging ich langsam in Richtung Moscisko, wobei ich seit langer Zeit `mal wieder zwei Störche auf ihren Storchennestern beobachtete. Das hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.
Ganz am Ende von Lutomia - Dolna auf dem letzten Hof beobachtete ich ein älteres Ehepaar bei der Gartenarbeit. Die Frau sprach mich freundlich an, aber ich erklärte immer nur, dass ich kein Polnisch verstünde. Sie kam zu mir auf die Straße und wir starrten uns minutenlang an; etwas Unerklärliches verband uns. Wir hatten uns etwas zu sagen, aber konnten nicht zusammen sprechen. Es fehlten die Worte. SCHRECKLICH !!! Ich zog verzweifelt ein kleines Wörterbuch aus meiner Tasche, aber eine Verständigung war trotzdem nicht möglich. Plötzlich kam wieder einmal zur rechten Zeit die richtige Person auf dem Fahrrad vorbei. Kurzer Hand hielt die Bäuerin sie an und bat um Hilfe, da sie wusste, dass diese Frau recht gut Deutsch sprach. Endlich war die Hürde beseitigt und ich konnte erklären, warum ich traurig war, dass ich vergeblich das Geburtshaus meines Vaters gesucht hatte und nun im Grunde unverrichteter Dinge Schlesien verlassen würde. Die liebe Frau lud uns beide zum Kaffee ein, servierte uns dann aber ein köstliches, kleines Mittagessen (Apfelplinsen und Gemüsesuppe). Die 75 jährige Dame entpuppte sich als fabelhafte Synchrondolmetscherin. Es war sofort eine unbeschreibliche Nähe zwischen uns. Selten habe ich eine einheitliche EU-Sprache so sehr vermisst wie in diesem Moment!
Nach dem gemeinsamen Mahl und einem intensiven Gespräch verabschiedeten wir uns herzlich wie gute, alte Bekannte. Die Hausfrau, ihre Enkelin, ein wahrer Engel, und ich umarmten uns innigst. Kaum zu glauben, dass wir uns erst seit ca. 1 Stunde kannten. Wir tauschten noch schnell unsere Adressen aus und beide versprachen mir weiter nach meinem Vater und meinen Großeltern zu forschen. Außerdem lud mich die Bäuerin ein, sie bei meinem nächsten Schlesienbesuch unbedingt zu besuchen. Lange Zeit winkten wir uns zu, bis ich beim Zurückblicken nur noch sich bewegende Pünktchen auf der langen Straße nach Moscisko (=Faul Brück) sah.
Selten habe ich mich in meinem Leben Menschen innerlich so nahe gefühlt.
Das Kuriose war, dass diese Frau von dem Hof gestern während des Gottesdienstes in der Kirche genau vor mir gesessen hatte. –Seltsame Fügungen !-
Aufgrund der herzlichen Einladung dieser Menschen und wegen des Charmes von Leutmannsdorf – Lutomia tat mir der Abschied weh und in meinem Herzen hoffe ich, dass ich bald in meine „Wurzelheimat“ Leutmannsdorf wiederkommen darf.
Mittwoch, 30.04.08 – 13:00 Uhr –Der Tag meiner Abreise – Endlich sitze ich im Zug nach Deutschland. Die Rückfahrt von Moscisko / Leutmannsdorf nach Legnica–Lignitz hat mir noch einmal bewiesen, wie kostbar ein Dolmetscher bzw. eine Reisegruppe wäre: Ich stand ca. 50 Minuten in Moscisko auf dem Bahnhof und wartete auf den Zug. Zwar gab es eine polnische Durchsage, aber ich konnte sie nicht verstehen. Kein Schalter, kein Mensch, den ich fragen konnte, warum der angegebene Zug nicht kam. Endlich sah ich eine alte, liebe Frau, die die Durchsage verstand und mir irgendwie ohne ein Wort Deutsch erklärte, dass der Zug ausfiel und ein Ersatzbus nach Legnica führe. Allerdings wussten wir nicht, wo er halten würde. Als der Bus mit viel Verspätung kam, konnte es los gehen. Unterwegs mussten wir nicht nur in den entlegendsten Dörfern anhalten um Fahrgäste einzuladen, sondern auch weil der Motor des alten Busses streikte. Immer wieder musste der Fahrer pausieren und warten bis sich der Motor abkühlte. Gott sei Dank hatte ich in Legnica 2,5 Stunden Aufenthalt, so dass für mich die Chance relativ groß war meinen Zug um 12:57 Uhr Richtung Berlin zu erreichen. Als ich im Bus meine Hin- und Rückfahrkarte vorzeigte, erklärte mir der Schaffner in ENGLISCH (!), dass sie nur am selben Tag der Hinreise gültig gewesen wäre. Auch hier eine falsche Info. Vorsicht ! Lieber vor Ort lösen, da in Legnica auf dem Bahnhof praktisch niemand Deutsch oder Englisch spricht.
Ein Rückblick auf meine spontane, abenteuerliche Kurzreise nach Leutmannsdorf
Ich habe viel Hilfe von zum Teil sehr gütigen und liebenswerten Menschen erfahren. Irgendwie traf ich immer im richtigen Moment die richtigen Personen. Wunderbare Fügungen, die mich unterstützten. Dennoch relativieren sich langsam meine Gedanken und Empfindungen. Ich habe das Gefühl, dass der Kreis nun geschlossen ist. Stellvertretend für meinen Vater und meine Großeltern musste ich noch einmal richtig Abschied nehmen. Nach Ende des Krieges sind sie Hals über Kopf nachts über die grüne Grenze geflohen, mussten alles, ihr ganzes „Leben“ zurücklassen um an einem fremden Ort neu zu beginnen. Damals gab es keinen wirklichen Abschied, sondern es war ein plötzlicher Abbruch in einer sehr schweren Zeit.
Für mich habe ich meine Neugierde gestillt: ich wollte einfach sehen, warum ich mich in meinem Geburtsort Moers nie heimisch fühlte und weshalb ich seit jeher diese Sehnsucht nach Dorf- und Landleben hatte, nach Gemütlichkeit und Erdverbundenheit.
Hier in der Heimat meines Vaters, Manfred Edmund Lehnert, habe ich die Antwort gefunden. Mir wurde klar, dass ich eigentlich hier in Niederschlesien hätte geboren werden sollen und nicht am Niederrhein, zumal der Geburtsort meiner Mutter, Krobsdorf – Krobica bei Swieradow-Zdroj, nur wenige Kilometer von Leutmannsdorf entfernt lag.
Jedoch ein schlimmer Krieg und seine Folgen haben es verhindert. Es war gut und richtig, dass ich nach Leutmannsdorf gefahren bin. Auch hat mich meine Reise meinem Vater innerlich und emotional wesentlich näher gebracht. Ich konnte sein Heimweh, welches ihn bis zu seinem Tod begleitete, endlich verstehen.
Aber es ist auch gut, dass mein Vater und meine Großeltern ihre Heimat nie wieder besucht haben. Der Schmerz über das veränderte Dorfbild wäre besonders für meinen Vater viel zu groß gewesen. Mögen er und meine Großeltern ruhen in Frieden in ihrer himmlischen Heimat.
Beeindruckend waren für mich persönlich die vielen tiefen, zwischenmenschlichen Begegnungen, die ich erleben durfte. Sie zeigten mir: Welche Sprache wir auch sprechen, welche Lebensführung wir auch haben, wir sind alle Menschen mit den gleichen Bedürfnissen nach Liebe, Frieden, Zuneigung, Anerkennung und Geborgenheit…
Während meiner tief greifenden Erlebnisse hier in Schlesien habe ich den Text unserer europäischen Hymne erst wirklich verstanden. Jeder Einzelne von uns sollte mit seinen Möglichkeiten zum Weltfrieden beitragen, damit wir tatsächlich endlich Brüder und Schwestern werden auf unserem schönen Zuhause, das ERDE heißt.
Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum! Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt. Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.
Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament, Sphären rollt sie in den Räumen, die des Sehers Rohr nicht kennt.
(Elysium = Gefilde der Seligen; Sphären = Sternenwelten)
Erinnerungen der Martha Hedwig van der Velden geb. Thamm, geboren am 18.04.1905 in Leutmannsdorf, Schlesien.
Aufgezeichnet u.a. an Hand eines Videobandes, aufgenommen am 18.04.1995.
Einführung:
Martha Hedwig Thamm war die Tochter von Franz Bruno Thamm und Anna Maria Güttler. Sie hat am 20.01.1927 in Amsterdam den Hendrik Jacobus van der Velden geheiratet. Das Ehepaar hat zwei Söhne bekommen, die beide noch leben und dessen Namen aus Gründen des Datenschutzes nicht genannt werden dürfen.
Am 90. Geburtstag hatte Oma plötzlich angefangen zu erzählen:
"Ja, ja, die zwei waren nicht verheiratet, und dann wurde ich geboren! Und danach wurde mein kleiner Bruder geboren!" [Hierbei handelt es sich um Otto Thamm, geboren ca. 1907 oder 1908] "Das war nämlich so, Vater war in der Armee und durfte nicht heiraten. Die Kinder hat er später anerkannt. Ja, das war ein richtiger Groschenroman, damals. Ich habe darum die ersten Jahre meines Lebens den Namen meiner Großmutter getragen, Güttler also. Eigentlich war das ein großes Drama. Erst als er aus der Armee gekommen war, konnte er meine Mutter heiraten und hat meinen Bruder und mich anerkannt. Seitdem trage ich den Namen Thamm".
Spätere Dokumente bringen hervor, dass Bruno (wie er sich einfach nannte) Thamm und Anna Maria Güttler am 25.03.1911 in Leutmannsdorf geheiratet haben. Einen Tag vorher hat Bruno Thamm die beiden Kinder Martha und Otto anerkannt. Bruno wohnte inzwischen in Berlin, wo er Polizist war. Im Extrakt der Heiratsurkunde wird er als Königlicher Schutzmann beschrieben, Anna Maria Güttler war im selben Dokument unverehelichte Schererin. [Königlich soll hier sagen, im Dienst Wilhelm II., Kaiser von Deutschland und König von Preußen]
Zurück zum Geburtstagsgespräch: Frage vom Sohn: "War es denn eine Wilde Ehe?" "Nein, die zwei haben gar nicht in einem Hause gewohnt. Wäre auch nicht möglich, weil Vater in der Armee war und nicht bei uns. Mutter wohnte bei ihren Eltern und sie hat in so einer Art Textilfabrik gearbeitet." Erst als ich sechs Jahre alt war, sind wir nach Berlin umgezogen. Mein Vater war dort bei der Polizei. In Berlin sind noch weitere Brüder geboren, Bruno und Herbert, aber die sind im Krieg gefallen. Es gab noch einen Bruder namens Erwin, aber der war manchmal sehr krank. Erwin ist in Berlin geboren und jung gestorben."
Leutmannsdorf war hügelig und Oma hat mal erzählt, dass sie täglich bergauf und bergab gehen musste. Sie wurde geboren in Leutmannsdorf Bergseite.
"Ich bin in einem Dörflein geboren und werde in einem Dörflein sterben", sagte sie am Ende des Videobandes. Das war richtig, Martha Hedwig ist am 10.01.1999 in Kortenhoef, einem kleinen Dorf in den Niederlanden, gestorben.
Die lange Reise nach Amsterdam
Wie kam Martha Thamm von Berlin nach Amsterdam? Na, mit dem Zug könnte man sagen, aber das ist hier nicht die richtige Antwort. Sie wurde vom Pfarrer der St. Aloysiuskirche gefragt. Diese befand sich in der Ofenerstraße in Berlin, in einer alten Fabrikhalle, eine Straße weiter als die Türkenstraße, wo die Familie Thamm wohnte. Man hat den Pfarrer aus Amsterdam gefragt, ob er nicht ein junges Mädel kennt, dass als Kindermädchen in Amsterdam arbeiten möchte. Eine Einladung dieser Art war oft verdächtig, da es manchmal vorkam, dass so genannte Kindermädchen in einem ganz anderen "Beruf" tätig sein sollten. Aber der Pfarrer hat die Anfrage überprüft und begutachtet.
So kam die junge Martha Thamm nach Amsterdam und arbeitete als Kindermädchen bei einer Familie am Stadhouderskade. Nebenan war das Büro des Notars Ludwig. Im Notariat arbeitete Hendrik van der Velden und er saß im Hinterzimmer. Wenn man aus dem Fenster blickte, sah man den Nachbargarten, wo sich auf einmal ein hübsches Mädchen um die Nachbarkinder kümmerte. Hendrik hat sie nicht nur gesehen, er hat das Mädchen sogar angesprochen und zwei Jahre später fand in Amsterdam die Hochzeit statt.
Familienmärchen
Bruno Thamm war lange Zeit eine Große Unbekannte. Ungewiss war, wo er geboren wurde und wann er starb. Nur der Sterbeort (Berlin) war bekannt. Mit Hilfe der Pfarrei St. Aloysius in Berlin wissen wir jetzt, dass Bruno Thamm am 19.02.1940 gestorben ist. Die Beerdigung fand am 24.02.1940 auf dem St. Sebastian Friedhof in Berlin statt. Seine Geburt war mit Rätseln umgeben. Einerseits wurde gesagt, dass er aus Ostpreußen kam, eine andere Geschichte wollte haben, dass er ein Findling war. Eine nette Dame hätte das gefundene Baby liebevoll aufgenommen...
Soweit die Phantasie. Die Realität, so hat sich heraus gestellt ist, dass Franz Bruno Thamm am 30.04.1882 in Groß-Merzdorf geboren wurde als Sohn von Anna Thamm (unverheiratet) und einem unbekannten Vater. Am 30.01.1884 ist das Kind anerkannt vom Dienstknecht Josef Opitz. Geheiratet wurde nicht, deshalb behielt das Kind den Namen Thamm.
Familie Thamm in Leutmannsdorf und Berlin
Richard Keijzer, Hilversum 12. August 2008
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Hexenglauben und Hexenverfolgung in Schlesien
Die Hexenprozesse haben längst aufgehört, der Hexenglaube aber erhielt sich in Schlesien bis ins zwanzigste Jahrhundert. Da gab es in Georgendorf bei Steinau im Kreis Wohlau eine Hexe – so erzählten sich jedenfalls die Leute – welche mit einem Stellenbesitzer verheiratet war. Sämtlichen Kühen im Dorf zog sie Sahne aus dem Euter. Wenn die Mägde oder die Bäuerinnen selbst melkten, erhielten sie nur dünne, bläuliche, fettlose Milch. Niemand im Dorf wusste aber wie es kam, das die Kühe so eine schlechte Milch gaben. Einmal stand diese Frau, welche sich der Kunst des Hexens verstand vor dem Butterfass und jedesmal wenn sie den Stiedel – den Stiel mit der Holzscheibe daran – im Faß hinunter stieß, sagte sie dazu: „Os jed’m Hos an Baun.“ – Aus jedem Hause eine Bohne! – Da wurde die Frau mitten aus dem Buttern weg gerufen. Sie gebot der Magd, die Arbeit des buttern fort zu setzen. Aber die Magd war ein „a wing tumm“, sie hatte jedenfalls nicht richtig hin gehört, um verstehen zu können, was die Frau beim Buttern gesagt hatte. Deshalb – da sie den Butterstiel ergriff – sagte sie: Os jed’m Hos a Zaubr“ – aus jedem Haus ein Zuber. Als die Frau zurück kam und den Spruch der Magd hörte, erschrak sie sehr und sagte: „um des Himmels Willen, du machst ja den Leuten die Küh zu Schaden. Du sullst ju bluß suin: „Os jed’m Hos an Baun!“ Die Magd hat das ausgeplaudert, und nun wusste es das ganze Dorf warum die Kühe nur immer blaue Milch gaben.
In Leutmannsdorf im Kreis Schweidnitz geschah es noch während der ersten drei Jahrzehnte unseres Jahrhunderts, dass die Jungen beim Schlittenfahren immer an einer ganz bestimmten Stelle umkippten. Und als wieder einer der Schuljungen mit seinem Schlitten den Berg hinunter fuhr und mit dem Schlitten an der bewussten Stelle umkippte, stieß er versehentlich tief mit seinem Finger in die Erde. Nachdem er ihn wieder hinaus gezogen hatte, sah er, das der Finger blutig und aufgerissen war. Seitdem erzählten sich die Einwohner von Leutmannsdorf, diese Stelle – wo die Kinder ständig mit dem Schlitten umkippten – sei verhext und das der Finger des Jungen, den er so blutig aus der Erde gezogen hatte, von einer Hexe angebissen worden sei. Seit jener Zeit hörte das Schlittenfahren an diesem Berg gänzlich auf. Da der Ort nach dem Glauben der Dorfbevölkerung verhext war, wollte sich dort kein Junge mehr mit dem Schlitten tummeln.
In Stanowitz im Kreis Schweidnitz – es hieß zuletzt Standorf – gab es einen Müller, welcher der Aumüller hieß. Ihn plagte – auch in unserem Jahrhundert noch – schrecklich „doas Reißa“, Rheumatismus. Nichts, was er gegen die Krankheit auch unternehmen mochte half ihm, seine Schmerzen los zu werden. Und wann ist der Aumüller das Reißen wieder losgeworden? Da hat er doch immer hinter einer - einer Frau die er offenbar gerne mochte – zum Spaße hergerufen. Und diese Frau hatte ihm zurück gerufen, er werde noch an sie denken. Sie also war es nach dem Glauben des Aumüllers unzweifelhaft, die ihn mit Zauberkraft von der Krankheit geheilt hat. So hat es der Aumüller oft im Kretscham erzählt.
In Gläsen im Kreis Leobschütz – so erzählt man sich dort – soll es eine Frau – die Simon Therese – gegeben haben, die sich aufs Hexen verstand. Wenn es arme Kleinbauersleut gab im Dorf, die von ihrer magren Kuh zu wenig Butter hatten, dann ging die Simon Therese zu ihnen und butterte selbst. Zuvor aber zog sie aus dem Wagen, der gerade draußen auf dem Hof stand, den Virstecker heraus und fuhr mit diesem, und fuhr so schmutzig er auch war, dreimal um das Butterfass herum. Dann schlug sie mit dem hölzernen Butterschlegel noch ein paar mal und im Handumdrehen war soviel Butter im Butterfass, wie die armen Kleinbauersleut im Leben noch nie gesehen hatten.
Quelle: Aus den schlesischen
Gebirgsboten von Heinz Kulke in den Ausgaben 1.8. – 20.8.1968
Zur Verfügung gestellt von Reiner Tannhäuser